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23.07.2024

Immobilienbrief Stuttgart: Im Gespräch mit Christiane Stoye-Benk.

„Die Verwaltung kann nur die Spielräume nutzen, die sie hat“.

Notare haben ihr Ohr eng am Markt. Sie sind Vertrauenspersonen, auch für die Immobilienbranche, und verfügen über ein profundes Wissen. Anlass für den Immobilienbrief Stuttgart, die Stuttgarter Notarin Christiane Stoye-Benk um ein Hintergrundgespräch zu bitten.

Was treibt die Immobilienbranche nach Ihrer Beobachtung momentan am meisten um?

Die Unplanbarkeit, dies in unterschiedlicher Form. Beispielsweise im Hinblick auf Baurechtschaffung – ein Riesenthema vor allem in Stuttgart. Aber auch die Unplanbarkeit hinsichtlich der Marktentwicklung: Wie werden sich die Preise entwickeln, wie wird sich die Zinslandschaft verändern, wann springt der Markt in welchem Segment wieder an? Ferner beschäftigt die Immobilienbranche natürlich das Thema Finanzierung und das Thema Fördermittel. Wie lange sind die Töpfe noch gefüllt, welche Bedingungen müssen erfüllt werden und wie bekomme ich das in ein Vertragswerk integriert bei einem Projekt, das über Jahre läuft?

 

Wie können die Notare der Immobilienwirtschaft in dieser schwierigen Situation helfen? Mit welcher Fragestellung kommt die Branche in die Notariate?

Was uns als Notare insgesamt unwahrscheinlich umtreibt, ist das Thema der Zulässigkeit von Bindungen, wenn Grundstücke von Privatpersonen angekauft werden oder Privatkunden als Endkunden schlüsselfertig vom Bauträger kaufen. Zudem die Höhe der Bindungsentgelte und die Dauer von Bindungsfristen. Das rechtlich Zulässige passt allein schon nicht zu der Zeitdauer, die für die Baurechtschaffung benötigt werden.

 

Das heißt, wie lange die Grundstücke reserviert werden dürfen und wie viel dafür zu bezahlen ist?

Genau. Hier haben sich natürlich die Rahmenbedingungen dramatisch verändert. Hier ist es sehr schwer geworden, einen richtigen Rat zu erteilen, denn die Rechtsprechung sagt, dass eine Bindung sechs Wochen bis drei Monate nicht überschreiten soll – in etwa. Lösungen zu finden, wird im jetzigen Marktumfeld immer schwieriger – und zwar in beide Richtungen, im Ankauf ebenso wie im Abverkauf der Wohnungen durch die Bauträger. Denn die Vermarktungsquote ist mit Blick auf Projektstart und Finanzierung wieder ein Thema.

Hier sind wir im Kollegenkreis im engen Austausch und in der Abstimmung der Argumente, mit denen beispielsweise eine Bindungsfrist längerer Dauer gerechtfertigt werden kann. So kann man argumentieren, dass nur mit einer langen Bindungsfrist die Baugenehmigung erwirkt werden kann und erst dadurch der private Verkäufer einen höheren Verkaufspreis realisieren kann. Trotzdem muss der Verkäufer ein Bindungsentgelt bekommen, er bindet sich schließlich an einen Käufer und muss sich davon auch unter bestimmten Bedingungen lösen können.

 

Sie sprachen auch das Thema Unsicherheit bei Baugenehmigungen, vielleicht bei Genehmigungen von städtischer Seite generell an. Wie ist hier die Situation?

Sehr unterschiedlich. In Stuttgart ist für die Investoren das Thema Baurechtschaffung in der Regel ein großes, dies bezüglich der Dauer, den Ungewissheiten und auch die Inhalte betreffend. Diesen Prozess durchzustehen, das ist für manche schwer. Dies merken wir auch bei der Thematik städtebauliche Verträge sehr stark. Die Baurechtschaffung wird heutzutage nun mal sehr stark durch städtebauliche Verträge begleitet, die dazu dienen, Ermessensspielräume, die es im Baurecht an ganz vielen Stellen gibt, vertraglich auszugestalten.

Bei der Frage, ob und wie diese ausgenutzt werden, nehme ich große Unterschiede in den einzelnen Städten wahr. Es gibt solche, die haben klare Zuständigkeiten, sammeln die städtischen Themen und kommunizieren und verhandeln mit dem privaten Investor über das Gesamtthema. Andere Städte haben verschiedene Zuständigkeiten und eine politisch schwierigere Meinungsfindung – da gehört Stuttgart dazu, ganz klar. Dies führt dazu, dass die Themenstellungen mit verschiedenen Teilen der Verwaltung besprochen werden müssen und das Zusammenfügen zu einem Ganzen bis hin zur politischen Zustimmung sich häufig schwierig gestaltet. Dann wird festgestellt, dass das Ganze nicht mehr zusammenpasst oder es in Summe unangemessen wird. Dies hat sich verschärft. Dabei hat die öffentliche Hand bei öffentlichen Verträgen die Pflicht zur Angemessenheit. Dies kann sie im Grunde nur gewährleisten, wenn sie das Gesamte im Blick behält und über das Gesamte verhandelt.

 

Welche Stellen sind es beispielsweise, mit denen der Investor einzeln verhandeln muss?

Baurechtsamt, Stadtplanungsamt, Grünfl.chenamt, Tiefbauamt, Liegenschaftsamt …, je nach Themenstellung.

 

Was machen die Städte, bei denen es gut läuft, anders?

Da gibt es verschiedene Modelle, ich habe hierzu auch einmal eine sehr gute und interessante studentische Arbeit betreut. Ein ganz wesentlicher Punkt ist die Frage, ob die Zuständigkeit für städtebauliche Verträge zentralisiert oder aufgespalten ist. Ein anderer, ganz wichtiger Punkt ist eine Vorgabe/Handlungsermächtigung durch die Politik an die Verwaltung, welche Spielräume es gibt und welche Punkte wie wichtig sind.

In Ludwigsburg gibt es hierzu zum Beispiel die Rahmenpläne, das finde ich eine ganz tolle Idee, die die Baubürgermeisterin Andrea Schwarz ja mal im Immobilienbrief vorgestellt hat (Anmerkung der Redaktion: In der Ausgabe Nr. 371). Das gibt der Verwaltung eine Handlungsmächtigkeit. Sie hat die Sicherheit, welche Positionen sie vertreten kann. Auch im Zusammenspiel mit dem Bebauungsplan ist der Rahmenplan eine gute Idee. Jede Verwaltung sollte sich vom Gemeinderat einen gestaffelten Wunschkatalog absegnen lassen, der sagt, wir haben bestimmte Themen, die sind ganz wichtig und unverhandelbar, in anderen sind wir verhandlungsbereiter.

Diesen Wunschkatalog sollten sich die Städte ganz genau anschauen. Denn bei der Angemessenheitsprüfung ist es wichtig, dies nicht nur mit Blick auf neue städtebauliche Verträge zu tun, sondern auch bei der Wirksamkeitsprüfung bereits abgeschlossener Verträge mit Blick auf eventuell notwendige Nachträge. Auch hier benötigt die Verwaltung klare Vorgaben und das Wissen darüber, was sie politisch abgesegnet bekommt.

 

Das gibt auch dem Investor Rechtssicherheit.

Genau! Dies auch deswegen, weil der städtebauliche Vertrag heutzutage ein ganz häufig gewähltes und erforderliches Instrument der Handlungssicherheit ist. Die projektbezogene Anpassung des Baurechts ist extrem wichtig und wird immer wichtiger. Das sollte auch bei der Reform der LBO bedacht werden, dass diese Handlungsspielräume eröffnet werden. Denn immer alles für jedes Projekt zu fordern, das macht die Dinge zu teuer und führt teilweise zu völlig unsinnigen Ergebnissen.

 

Notare haben auch eine wichtige Funktion als Mittler zwischen den Parteien wie Investor und öffentlicher Hand, aber ein Stück weit sind Sie doch sicherlich auch Kummerkasten. Welche Nöte und Sorgen vertraut Ihnen die Immobilienbranche an?

Ganz klar, eine wichtige Aufgabe der Notare ist die Konsens- und Lösungsfindung. Was die Immobilienbranche in Stuttgart sehr beschäftigt und bei einigen Projekten, die ich notariell begleitet habe, sicherlich wichtig und auch belastend war, das ist die zeitliche Komponente. Also wie lange braucht es, bis alle Punkte geklärt und abgestimmt sind und das Baurecht da ist. Hier haben wir extrem lange Zeiten. Wir haben eine Vielfalt von Abstimmungsprozessen und einen Ämterumlauf, der eben auch auf der Basis aufgebaut ist, dass jeder nochmals seinen Input gibt. Ich habe es öfter schon erlebt, und ich glaube, dass es in der notariellen Praxis generell öfter aufschlägt, dass dadurch zum Schluss nochmal ein Extrathema hochkommt und integriert werden muss. Das ist dann für den Partner aus der Privatwirtschaft sehr schwierig, weil er gegebenenfalls nochmals umplanen muss oder nochmals weitere Kosten obendrauf kommen. Das kenne ich teilweise anders.

 

Die Rahmenbedingungen für die Immobilienbranche sind in den vergangenen zweieinhalb Jahre deutlich schlechter geworden. Ist das angekommen in Verwaltung und Politik?

Es wäre falsch zu sagen, es ist nicht angekommen. Spätestens als die Insolvenzen kamen, ist der eine oder andere hellhörig geworden und hat gemerkt, dass es in der Immobilienbranche zu ziemlichen wirtschaftlichen Verwerfungen kommt. Ich denke, die Beurteilung der Situation ist sehr unterschiedlich in Bezug auf die Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit der gewerblichen Immobilienwirtschaft. Aufseiten der politischen Gremien in den Kommunen herrscht sicherlich noch ganz häufig die Vorstellung: Die müssen aus den vergangenen Jahren eine gefüllte Kasse haben und die sollen sie jetzt doch bitteschön investieren. Da habe ich ein gewisses Verständnis dafür, aber es gibt natürlich auch ganz viele Marktteilnehmer, die haben die gefüllte Kasse nicht, weil sie beispielsweise an die Gesellschafter ausgeschüttet haben. Zudem machen Investoren ihre Kalkulationen projektbezogen. Das Verständnis ist noch nicht überall da, dass ein Projekt für sich halbwegs rentabel sein muss.

Spannend wird es, wenn ein privater Marktteilnehmer auf eine Stadt zugeht und sagt: Ich habe vor zwei, drei Jahren zwar einen städtebaulichen Vertrag unterschrieben, aber unter den verschlechterten Rahmenbedingungen kann ich ihn nicht mehr erfüllen. Dann gibt es einen Anpassungsanspruch, wenn festgestellt wird, dass ursprüngliche Vertragsinhalte unangemessen sind. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn das Projekt nicht mehr wirtschaftlich ist. Allerdings darf hier nicht die Kalkulation für das schnelle Geld zugrunde gelegt werden, sondern es muss langfristig gerechnet werden, quasi wie ein Bestandshalter. Wir haben hier zunehmend Nachträge zu städtebaulichen Verträgen.

 

Uns als Immobilienbrief gegenüber werden immer wieder Aussagen gemacht wie: In Stuttgart, da wolle man lieber nicht mehr investieren. Bekommen die Notare auch solche Aussagen zu hören?

Ich bin mir sicher, dass alle Kollegen solche Rückmeldungen bekommen. Es gibt Mandanten, die ihre Projekte zurückgeben wollen und sagen, wir machen hier kein neues mehr. Ich denke, hierzu sollte es mal einen Austausch mit der Verwaltung geben, woran das liegt. Ein Grund ist sicher, dass die Investition, die mit dem Ankauf des Grundstücks getätigt wurde, in eine große Unsicherheit gerät, wenn der Investor einer Verwaltung gegenübersteht, die selbst häufig nicht weiß, in welchen Korridoren sie bei diesem Projekt handeln darf. Und wir haben teilweise ja auch herausfordernde Projekte mit schwierigen rechtlichen Themen.Hier meine ich, um noch einmal auf den Rahmenplan zu kommen, in vielen Fällen könnte ein solcher helfen. Und die genannten Herausforderungen, die hat Stuttgart.

 

Wir brauchen Behörden, die wollen und die vorhandenen Spielräume zugunsten des Investors ausnutzen. Hier bekommen wir oft gesagt, das sei in Stuttgart nicht der Fall.

Das ist in dieser Absolutheit nicht richtig, würde ich sagen. Es gibt viele Vertreter der Verwaltung, die nach Kompromissen suchen. Aber in vielen Punkten können sie nicht anders entscheiden, da es in Stuttgart viele Punkte gibt, die politisch nicht ausdiskutiert sind. Dies zu tun, ist nicht Aufgabe der Verwaltung. Sie kann nur die Spielräume nutzen, die sie hat. Bei der Suche nach Lösungen innerhalb von Vertragsgestaltungen erleben wir Notare schon, dass die Verwaltung in Stuttgart geringere Handlungsspielräume hat. Und das ist für das private Gegenüber häufig nicht zufriedenstellend, frustrierend.

 

Also hat der Gemeinderat hier noch Hausaufgaben zu machen.

Die Konzentration auf das konsensuale Handeln ist ganz wichtig. Es ist eine originäre Aufgabe auch der Notare, gegebenenfalls bei der Konsensfindung zu helfen, aber wir stehen meistens relativ am Schluss. Daher ist es wichtig, dass im Vorfeld die Städte und damit die politischen Gremien und Verantwortungsträger – das will ich ganz bewusst nicht auf Stuttgart beschränken – sich überlegen, wie ermächtigen wir unsere Verwaltung, konsensual handeln zu können. Und zwar mit einem zuverlässigen Tempo, mit einem zuverlässigen Verfahren, damit das private Gegenüber das Gefühl vermittelt bekommt: Hier macht man sich gemeinsam auf den Weg. Das ist ganz wichtig, das muss gelingen.